Die wilde Sophie by Lukas Hartmann
Autor:Lukas Hartmann [Hartmann, Lukas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783257608113
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
{137}in welchem Jan von Afrika erzählt und Sophie wieder auf dem Küchensims steht
Jan saà auf seinem Polsterstuhl und schaute verdrossen zu, wie Stanislaus das Essen hereintrug, das Tablett vor ihn hinstellte und den Deckel vom Teller hob. Der Karottenbrei sah aus wie immer und roch wie immer. Jan griff nach dem Löffel mit den abgeschliffenen Kanten.
»Guten Appetit, mein Prinz«, wünschte Stanislaus; es klang wie eine Beileidsbezeugung. »Guten Appetit«, wiederholte Raimund, der mit der Wasserkaraffe neben dem Tisch stand.
Jan aà ein wenig, dann senkte er den Löffel und sagte: »Ich mag nicht mehr.«
Stanislaus schob den vollen Teller näher zu Jan hin. »Das geht nicht. Du musst zu Kräften {138}kommen. Eben hast du wieder drei Tage im Bett gelegen.«
»Wenn du nicht genügend isst, bekommst du Muskelschwund«, sagte Raimund.
Jan legte den Löffel neben den Teller.
»Du willst doch nicht, dass der König die nächste Ausfahrt streicht«, sagte Stanislaus.
Stumm tauchte Jan wieder den Löffel in den Brei und führte ihn zum Mund. Plötzlich hielt er inne. Etwas Flaches, Schwarzgrünes steckte in der gelbroten Masse. Er schob es mit dem Löffel an den Tellerrand, er packte es mit zwei Fingern und lieà den Brei davon abtropfen; mit dem Zeigefinger der anderen Hand strich er neugierig darüber. Merkwürdig, waren da nicht Buchstaben eingeritzt?
»Gib her!«, schrie Stanislaus und packte Jans Handgelenk. Während er es festhielt, gelang es Raimund, ihm das Blatt zu entreiÃen. Aber die paar Sekunden hatten Jan genügt, um einige Wörter zu entziffern. MITERNACHT ⦠SPEISEKAMER ⦠WART AUF DICH â¦, hatte er gelesen und in Gedanken automatisch die Rechtschreibfehler verbessert.
»Nur ein Lorbeerblatt«, sagte Raimund erleichtert. »Er hätte sich daran verschlucken können. Aber wir waren wachsam, nicht wahr?«
»Gewiss, das waren wir«, sagte Stanislaus. »In der Küche haben sie wieder mal geschlampt. Immer {139}dasselbe!« Raimund warf die drei Blattstücke achtlos in den Abfallkübel.
»Und du«, sagte Stanislaus zum Prinzen, »bist in Zukunft nicht so neugierig. Du hast es uns zu melden, bevor du etwas Unbekanntes berührst.« Und wie wenn er sich selber überzeugen müsste, fügte er bei: »Der König will es so.«
Jan versuchte, ein harmloses Gesicht zu machen; doch die Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. Wenn er sich die Botschaft auf dem Blatt richtig zusammenreimte, dann forderte ihn jemand auf, um Mitternacht in die Speisekammer zu kommen. Aber wer nähme denn so viele Gefahren in Kauf, um ihn zu treffen? Jan hatte einen Verdacht, der sein Herz schneller schlagen lieÃ. Nein, das konnte nicht sein ⦠Und wenn doch, wie sollte er die Wächter überlisten? Das ging nicht mehr so leicht wie damals, als er Stanislaus und Raimund mit Baldrian eingeschläfert hatte. Seither war die Bewachung verstärkt worden; drauÃen im Gang standen Soldaten, die alle zwei Stunden abgelöst wurden. Wollte ihm jemand eine Falle stellen? Mit halb geschlossenen Augen saà Jan da und presste die Handflächen gegeneinander. Und dann hatte er einen Einfall.
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